Zivilcourage: Diese Hilfe kann jeder leisten

Zivilcourage wird gerne und oft medial eingefordert. Doch ganz so leicht ist sie oftmals nicht umzusetzen.

Viele Menschen fühlen sich nicht ausreichend im Stande, anderen Menschen in Notsituationen beizustehen. Entweder aus eigener Furcht oder weil sie die Situation falsch einschätzen.

Was Sie dennoch tun können und wie Sie selbst in einer eigenen Notsituation von anderen Menschen Zivilcourage einfordern können, beleuchten wir an dieser Stelle.

Zivilcourage: Diese Hilfe kann jeder leisten

Definition: Was versteht man unter Zivilcourage?

Der Begriff der Zivilcourage setzt sich aus dem lateinischen Wort civilis, also „bürgerlich“ und dem französischen courage, also „Mut“, zusammen. Frei übersetzt könnte man Zivilcourage also als „Mut im Alltag“ bezeichnen.

Darunter versteht man die Bereitschaft, anderen Menschen in Notsituation aktiv zu helfen, auch wenn es unbequem ist. Die Begrifflichkeit tauchte Mitte des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal auf, als sich in Deutschland und in Frankreich aufgeklärte Bürger verantwortlich für ihre Mitmenschen und deren Grundrechte sahen und dies nicht nur dem Militär oder der Polizei überlassen wollten, sondern meinungsstark nach außen vertraten.

Heute wird Zivilcourage häufig in den Medien glorifiziert. Dabei wird komplett vergessen, dass es in vielen Situationen die Pflicht eines jedes einzelnen ist, Mitbürgern in Not zu helfen, sofern er sich dabei nicht selbst in Gefahr anbringt. Andernfalls macht er sich der unterlassenen Hilfeleistung nach Paragraph 323 des Strafgesetzbuches strafbar, was mit bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe belegt werden kann.

Doch Zivilcourage ist mehr als nur Hilfe. Gemeinhin wird zwischen drei verschiedenen Arten von Zivilcourage unterschieden:

  • Eingreifen in Notsituationen
  • Sich einsetzen für die allgemeinen Rechte Schwächerer
  • Sich gegen Angriffe und Ungerechtigkeiten zur Wehr setzen und standhalten

Dafür benötigt jeder einzelne von uns ein ethisches Bewusstsein und die innere Charakterstärke, danach entsprechend zu handeln. Beides auszubilden, sollte eine der Hauptaufgaben einer humanistischen Gesellschaft sein, um die Mündigkeit der Bürger zu fördern.

Dahinter steckt das Bild der Aufklärung, wonach jeder Mensch die gleichen Rechte haben müsse. Auf die heutige Zeit angewandt, bedeutet das, jeglicher Form von Diskriminierung entgegen zu treten – egal ob aus Gründen von Armut, Obdachlosigkeit, Herkunft, Alter oder Geschlecht.

Gemeinnützige Organisationen, kirchliche Einrichtungen oder Gewerkschaften kämpfen für dieses Recht. Daher sind auch ein ehrenamtliches Engagement oder Zusammenschlüsse wie „Omas gegen Rechts“ zur Zivilcourage zu zählen, ebenso wie zum Beispiel eine Mitwirkung in einem Seniorenbeirat.

Das Hauptaugenmerk des öffentlichen Interesses liegt allerdings nach wie vor auf der Zivilcourage im Alltag – insbesondere das Einschreiten bei Straßenkriminalität wie Raubüberfällen, Körperverletzungen oder Sachbeschädigungen.

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Zivilcourage: Das kann jeder von uns leisten

Wer einmal in einer Situation war, die Zivilcourage erfordert hat, wird dies kennen: Selten sind die Parameter eindeutig. Extrem formuliert: Eine Auseinandersetzung auf der Straße zwischen einem Mann und einer Frau kann ein harmloser Ehestreit sein oder ein sich anbahnendes Gewaltverbrechen.

Es geht also primär darum, die Situation einzuschätzen. Dies geht nicht, in dem man vorbei geht. Daher gilt es, stehen zu bleiben und gegebenenfalls auch weitere Passanten dazu zu holen und sich mit diesen auszutauschen. Zudem sollten Sie den Kontakt mit dem vermeintlichen Opfer suchen und fragen, ob alles in Ordnung sei oder ob die entsprechende Person Hilfe benötige.

Viele Menschen sind in unserer Zeit schon etwas abgestumpft gegenüber Mobbingattacken oder verbaler Gewalt. Dabei sind hier schon etliche Grenzen überschritten. Außerdem ist es von hier aus häufig nicht weit bis zu körperlichen Übergriffen. Das gilt zwischen Erwachsenen genau so von Seiten von Eltern gegenüber ihren Kindern.

Es bringt also nichts, eine irritierende Situation zunächst einmal zu verharmlosen, um das eigene Gewissen zu beruhigen, während man weiter geht. Vertrauen Sie hier zunächst auf Ihr Gefühl: Wenn Sie etwas irritiert, dann meist zurecht.

Daher gelten für Zivilcourage folgende Regeln:

  • Helfen Sie
    Sprechen Sie die Betroffenen an. Das gilt nicht nur für ein Gewaltverbrechen: Wenn Sie sehen, dass ein Mensch am Boden liegt, dann bieten Sie die Hilfe an. Der vermeintlich Betrunkene ist vielleicht in Wirklichkeit ohnmächtig und benötigt dringend Erste Hilfe. Wichtig hierbei: Eigenschutz geht immer vor. Sie sollten sich also nicht selbst in Gefahr bringen. Gehen Sie also nicht dazwischen, wenn ein Passant von mehreren Angreifern verprügelt wird, sondern:
  • Setzen Sie einen Notruf ab
    Wenn Ihnen eine Situation bedrohlich vorkommt, dann informieren Sie sicherheitshalber die Polizei unter der 110. Bei einem medizinischen Notfall müssen Sie den Rettungsdienst unter der 112 verständigen. Schildern Sie Ihre Wahrnehmung dabei genau und warten Sie auf Rückfragen. Dies kann jeder Mensch leisten – egal in welcher körperlichen Verfassung er ist.
  • Bitten Sie um Mithilfe
    Halten Sie Passanten an und sprechen Sie diese gezielt an. Bitten Sie um Mithilfe und Unterstützung. Bei Straßenkriminalität kann oftmals schon das verbale Einschreiten von mehreren Personen die Täter dazu bewegen, von ihrem Handeln abzulassen. Auch hier gilt: Bringen Sie sich nicht in Gefahr. Stellen Sie sich also flüchtenden Tätern nie in den Weg. Viel wichtiger ist vielmehr:
  • Prägen Sie sich die Merkmale der Täter genau ein
    Für eine spätere Fahndung der Polizei ist eine genaue Beschreibung enorm wichtig. Zwar ist die menschliche Wahrnehmung selektiv und die Zeugenaussagen können daher stark voneinander abweichen, aber wenn Sie sich auf ganz bestimmte, hervorstechende Merkmale (wie zum Beispiel ein Tattoo oder eine andere körperliche Auffälligkeit) konzentrieren, helfen Sie der Polizei enorm.
  • Kümmern Sie sich um die Opfer
    Beruhigen und trösten Sie die Betroffenen bis professionelle Hilfe (Polizei, Rettungsdienst) vor Ort sind. Signalisieren Sie, dass Sie Zeit haben und für das Opfer da sind. Bei Verletzungen leisten Sie wie bereits angesprochen erste Hilfe.
  • Stehen Sie als Zeuge zur Verfügung
    Warten Sie, bis die Polizei eingetroffen ist und sagen Sie dann aus, was Sie genau wahrgenommen haben. Jede Aussage ist wichtig und hilft bei den Ermittlungen weiter. Für die Beamten ist jeder Zeuge ein Puzzleteil, der sie dabei unterstützt, genau zu rekapitulieren, was exakt passiert ist.

Spielen Sie nicht den Helden. Wenn Sie diese sechs Grundsätze befolgen, haben Sie bereits mehr getan, als viele andere. Noch einmal: Zivilcourage bedeutet nicht, sich selbst in Gefahr zu bringen.

Info: Das Phänomen des Zuschauereffektes

Auf den ersten Blick ist es widersprüchlich: Viele Zuschauer – wenig Hilfe. Keine oder kaum Zuschauer – viel Hilfe.

Dieses Phänomen, dass die Hilfsbereitschaft schwindet, je mehr Menschen beteiligt sind, nennt man Zuschauereffekt oder auf Englisch: Bystandereffect. Und dieser vermeintliche Widerspruch ist durchaus erklärbar:

  • Je mehr Menschen vor Ort sind, umso leichter kann die Verantwortung abgegeben werden.
  • Je mehr Menschen nicht handeln, umso leichter fällt die persönliche Rechtfertigung, dies ebenfalls nicht zu tun.
  • Je mehr Menschen in der Nähe sind, umso größer ist die Angst, sich zu blamieren, wenn man etwas tut.
  • Je mehr Menschen da sind, umso kleiner wird das Zutrauen in das eigene Handeln. Nach dem Motto: „Hier ist sicher jemand, der besser in der Lage ist, zu handeln.“
  • Je mehr Menschen herumstehen, umso leichter unterliegt jeder Beteiligte einer Fehleinschätzung wie zum Beispiel: „Wenn keiner was tut, dann kann das gar nicht so schlimm sein. Hier muss es sich um etwas Harmloses handeln.“
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Noch Zivilcourage oder schon Denunziantentum?

Viele Menschen haben Angst, vorschnell die Polizei zu alarmieren. Zum einen empfinden sie die Situation vielleicht als nicht so bedrohlich und zu belanglos für die Polizei, zum anderen möchten sie auch keinen denunzieren.

Doch darum geht es nicht. Denunziation bedeutet, jemanden aus Bosheit oder reinem Eigennutz zu verdächtigen und auszuliefern. Dies trifft zum Beispiel bei einer Auseinandersetzung auf der Straße nicht zu.

Wenn Sie bemerken, dass sich eine gefährliche Situation anbahnt oder Ihnen in irgendeiner Form ungut erscheint, dann ignorieren Sie Ihr erstes Bauchgefühl nicht. Rufen Sie die Polizei. Die Einsatzkräfte in der Leitstelle und die Beamten der Funkstreife sind darin geschult, die richtigen Fragen zu stellen, um professionell einschätzen zu können, um was es sich handelt und entsprechend zu deeskalieren.

Wichtig ist dabei: Für eine Fehleinschätzung und einen zu voreilig getätigten Notruf können Sie nicht belangt werden.

Tipp: So können Sie selbst Zivilcourage einfordern

Wer selbst in einer Notlage ist und Hilfe braucht, sollte Zivilcourage von anderen Passanten einfordern, soweit Ihnen das in diesem Moment noch möglich ist. Um zu verhindern, dass diese untätig bleiben, weil sie unsicher sind, haben sich drei Regeln als hilfreich erwiesen:

  1. Sprechen Sie gezielt einzelne Personen an – am besten mit einer Beschreibung. Zum Beispiel: „Sie, der Herr in der rot-blauen Jacke“.
  2. Verdeutlichen Sie, dass es sich um eine Notlage handelt. Zum Beispiel: „Ich werde angegriffen“ oder: „Ich blute stark“
  3. Geben Sie klare Anweisungen. Zum Beispiel: „Rufen Sie bitte die Polizei“.

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[Bildnachweis: Bignai by Shutterstock.com]

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