Sollte man Erwartungen haben?
Die Meinungen darüber, ob man Erwartungen haben soll, sind sehr geteilt:
- Die einen glauben, es sei besser keine Erwartungen zu haben, weil man dann nicht enttäuscht werden kann.
- Die anderen sind der Auffassung, dass es zu einer positiven Lebenseinstellung gehöre, Erwartungen zu haben.“
Unterschiedlicher könnten die Auffassungen nicht sein. Doch klären wir erst einmal, was Erwartungen eigentlich sind.
Wenn wir etwas erwarten, stellen wir uns vor, wie eine Person handeln beziehungsweise reagieren wird oder wie sich eine Situation entwickelt. Diese Erwartung basiert auf Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben.
Erwartungen können eine unterschiedliche Richtung einnehmen:
- Wir stellen Erwartungen an uns selbst. (Innere Erwartungen)
- Andere stellen Erwartungen an uns. (Äußere Erwartungen)
Beiden Erwartungsformen gemeinsam ist, dass sie sich aus Idealvorstellungen bilden. Wir nutzen unser Wissen und unsere Erfahrungen und entwickeln ein Bild davon, was passieren soll. Dieses Bild muss nicht immer positiv sein. Es kann auch ein Schreckensszenario sein, aus dem wir eine negative Erwartung ableiten.
Sind Erwartungen Wünsche?
Zwischen Erwartungen und Wünschen gibt es einen feinen Unterschied. Wird ein Wunsch nicht erfüllt, sind wir enttäuscht. Wird dagegen eine Erwartung nicht erfüllt, sind Frustration und Enttäuschung noch größer. Woran liegt das?
Der Wunsch erinnert an eine Bitte. Er wird oft wohlwollend formuliert und beinhaltet eine mögliche Ablehnung. Der Empfänger des Wunsches kann wählen und entscheiden, ob er ihn erfüllen möchte oder nicht.
Eine Erwartung ist mehr. Wer eine Erwartung äußert, kalkuliert die Nicht-Erfüllung NICHT mit ein. Dementsprechend ist er auch viel frustrierter, wenn seine Erwartung nicht erfüllt wird.
Wie bilden sich Erwartungen? – Die Sicht der Psychologie
Erwartungen entstehen nicht aus dem Nichts. Laut der Psychologie entwickeln sie sich aus
- Bedürfnissen,
- Versprechen,
- Empfehlungen,
- aus Wünschen,
- und Wunschvorstellungen.
Am Anfang steht der Mangel. Wir merken, dass uns etwas fehlt. Dieser Missstand soll behoben werden und wir entwickeln eine Vorstellung davon, wie der Idealzustand aussehen könnte. In der Folge entwickelt sich aus dem Mangel ein Bedürfnis, das gestillt werden soll. Der Mangel wird somit zum Auslöser für eine Erwartung.
Auch aus einem Versprechen kann sich eine Erwartung entwickeln. Freunde, Verwandte und Kollegen geben uns ein Versprechen, weil Sie eine Not bei uns sehen. Sie bieten ihre Hilfe und Unterstützung an. Folglich vertrauen wir auf den Support und glauben daran, dass zu gegebener Zeit ihre Hilfe eintreffen wird.
Wenn Menschen eine Empfehlung aussprechen, gleichen wir ihre Werte, ihren Geschmack und auch finanziellen Möglichkeiten mit unseren eigenen ab. Finden wir viele Übereinstimmungen, dann glauben wir der Empfehlung und entwickeln entsprechend eine hohe Erwartung an den Tipp.
Aus dem Wunsch wird eine Erwartung, wenn unser Gegenüber uns signalisiert, dass er gewillt ist den Wunsch zu erfüllen, oder wenn die Zeichen Erfolg versprechend aussehen. Der Wünschende rechnet nun fest mit einer Wunscherfüllung.
Welche Erwartungshaltungen gibt es?
Jeder hat Wünsche und Bedürfnisse und entwickelt eine Vorstellung davon, was passieren wird. In der Psychologie wird dies auch Antizipation genannt: Es ist die gedanklich vorweggenommene Erwartung eines Ereignisses oder einer Reaktion. Der Antizipierende zieht einen bestimmten Verlauf in Betracht, rechnet geradezu damit.
Allerdings ist das Spektrum der Erwartungen, das wir an andere stellen, breit: Die Erwartungen können niedrig, angemessen oder auch sehr hoch sein. Woran liegt das?
Wir gleichen unsere Erwartungen mit den Ansprüchen an uns selber und unseren eigenen Erfahrungen ab:
- Stelle ich an mich selber keine hohen Erwartungen oder hat mein Gegenüber in der Vergangenheit keine guten Leistungen gezeigt, neige ich dazu, auch keine hohen Erwartungen an ihn zu stellen.
- Neige ich selber zur Perfektion, liefere immer eine Top-Leistung, erwarte ich vermutlich das Gleiche von anderen.
- Schätze ich die Fähigkeiten meines Gegenübers realistisch ein, weiß um seine Situation, wieviel Zeit und Kraft er investieren kann, entwickle ich ein recht realistische Erwartung davon, was er erreichen wird.
Erwartungen in der Beziehung
Erwartungen in einer Partnerschaft gibt es viele:
- Liebe
- Achtung
- Vertrauen
- Treue
- Ehrlichkeit
- Loyalität
- Nähe und Freiheit
- Verständnis
- Unterstützung
- finanzielle Sicherheit
- befriedigende Sexualität
Es ist auch unausweichlich, dass jeder sich diesen Erwartungen stellen muss, deshalb sind die folgenden Beziehungstipps für eine harmonische Partnerschaft wichtig:
- Fordern Sie nichts von Ihrem Partner, sondern äußern Sie es als Wunsch. Die Äußerung eines Wunsches lässt ihm oder ihr die Freiheit auch abzulehnen.
- Kalkulieren Sie immer ein Nein mit ein. Das lässt dem anderen wirklich die Freiheit, sich zu entscheiden.
- Sprechen Sie Ihre Erwartung offen an, denn Gedanken kann ihr Partner nicht lesen. Es wird für Sie beide einfacher, wenn Sie über Ihre Wünsche und Bedürfnisse sprechen.
- Reagieren Sie angemessen, wenn Ihr Partner eine Erwartung ablehnt. Schmollen, die kalte Schulter zeigen, Schweigen hilft Ihnen nicht weiter. ‚Erlauben‘ Sie Ihrem Partner, sich anders zu entscheiden.
- Vertrauen Sie darauf, dass Ihr Partner Ihre Bedürfnisse ernst nimmt und Sie erfüllen möchte.
- Versuchen Sie nach zu vollziehen, warum er anderer Meinung ist als sie selbst.
- Priorisieren Sie Ihre eigenen Erwartungen. Nicht alles ist lebensnotwendig und kann durchaus vernachlässigt werden.
Das Schlimmste sind die unausgesprochenen Erwartungen. Es schwelt der Streit zwischen beiden. Oft über Wochen. Sie haben hier nur eine Chance. Nehmen Sie sich die Zeit und reden Sie miteinander. Klären Sie die Fronten. Überlegen Sie gemeinsam:
- An welcher Stelle bin ich immer wieder unglücklich, weil ich mich nicht gehört fühle?
- Gibt es hier eine unausgesprochene Erwartung?
- Hat mein Partner einen tiefen Wunsch von dem gar nichts wusste?
- Oder gibt es einen Wunsch, den ich bewusst ignorierte?
- Was machen wir aus dieser Situation? Wie können wir uns wieder nähern und eine gemeinsame Lösung finden?
Sollte man hohe Erwartungen an andere haben?
„Nichts schmerzt uns so sehr, wie enttäuschte Erwartungen.“ Das wusste schon Benjamin Franklin. Hohe Erwartungen gehen einher mit Perfektion. Wir können Perfektion von uns selbst verlangen, aber Perfektion bei unserem Gegenüber wird in der Regel enttäuscht.
Diese Enttäuschung trifft den anderen, weil er feststellen muss, dass seine Leistung uns nicht genügt. Er hat Zeit und Kraft investiert, aber es reicht einfach nicht, um uns zufrieden zu stellen.
Diese erlebte Enttäuschung hinterlässt auch Spuren bei uns selbst. Wir sind gefrustet und haben Kummer. Es kann uns sogar ein Gefühl der Ohnmacht überkommen, da wir uns scheinbar nur noch auf uns selbst verlassen können.
Bedeutet das im Umkehrschluss, man solle besser nichts erwarten, um nicht enttäuscht zu werden?
Mitnichten. Hinter dieser Haltung versteckt sich eine negative Erwartungshaltung: „Der oder die andere wird mich enttäuschen.“ Mit dieser Einstellung nimmt man den Kummer vorweg. Es handelt sich hierbei nicht um Gleichmut, sondern eher um eine vorweg genommene Dramaturgie: Ich kann mich nur auf mich selber verlassen. Ich bin allein.
Was also wäre die richtige Einstellung?
Am besten ist es, die eigenen Erwartungen an andere zu überprüfen:
- Was habe ich für Erfahrungen mit meinem Gegenüber gemacht?
- Entspricht meine Erwartung überhaupt seinen Fähigkeiten?
- Hat er oder sie die Zeit, meine Erwartung zu erfüllen?
Wenn dieses Gesamtbild mit Ihrer Erwartung übereinstimmt, ist sie angemessen. Ist Ihr Anspruch allerdings zu hoch, ist es klüger die eigene Erwartung runterzuschrauben und durch eine realistische zu ersetzen.
Tipps: Wie mit Erwartungen anderer umgehen
Wenn Freunde, Verwandte und Kollegen keine besonderen Erwartungen stellen, ist das Leben unkompliziert. Wir erledigen die Aufgaben nach unseren eigenen Maßstäben. Was aber tun, wenn der Lebensgefährte, die Eltern, die Kinder oder der Chef sehr hohe oder sogar zu Erwartungen an uns stellen, die uns einen großen Druck machen?
Ihre eigenen Werte sind die Basis.
Überprüfen Sie die an Sie gestellte Erwartung. Entspricht Sie überhaupt Ihren eigenen Maßstäben? Wird von Ihnen etwas erwartet, dass Sie gar nicht mit Ihrem Herzen vereinbaren können? Dann sollten Sie sich unbedingt von dieser Erwartung frei machen, weil Sie etwas gegen Ihren eigenen Willen und Ihre Überzeugung tun müssen.
Festigen Sie Ihre Persönlichkeit.
Es ist ein ganz natürlicher Impuls, dass man jedem gerecht werden will. Aber das müssen Sie nicht. Verändern Sie Ihr Verhalten nicht, nur um anderen gerecht zu werden. Auf diesem Weg verlieren Sie nur sich selbst und werden unglücklich, weil Sie ein fremdbestimmtes Leben führen.
Suchen Sie das Gespräch.
Miteinander Reden braucht manchmal Mut. Auch hier, weil Sie das Gefühl haben, den anderen zu enttäuschen und das wollen Sie eigentlich nicht. Bringen Sie Ihr Anliegen in einer ruhigen Atmosphäre zum Ausdruck. Senden Sie Ich-Botschaften und erklären Sie Ihrem Gegenüber, was Sie bei diesem Erwartungsdruck empfinden. Oft wusste der andere gar nicht, was seine Erwartung auslöste. Aber nun haben Sie die Chance auf einen richtigen guten Kompromiss.
Erwartungen loslassen
Im Volksmund ist der Gedanke „Verlange nichts, das Du nicht selbst erfüllen kannst“ weit verbreitet. Ist es tatsächlich richtig, von anderen nur das zu erwarten, was wir selber können?
Das wäre wohl zu kurz gegriffen. Ein Beispiel: Wenn ein Vater tapezieren kann, sein Sohn aber nicht, ist es wohl richtig von dem Sohn, die Unterstützung bei der Renovierungsarbeit zu erwarten, wenn der Vater seine Unterstützung zu gesagt hat.
Es gibt aber Erwartungen an Freunde, Verwandte und Lebenspartner, die Sie durchaus loslassen sollten.
Fünf Tipps: Diese hohen Erwartungen sollten Sie auf jeden Fall loslassen
Es gibt Erwartungen, die einfach unrealistisch beziehungsweise falsch sind. Wir haben für Sie in diesem Zusammenhang Aussagen zusammengestellt, die Sie bestimmt schon einmal vernommen haben.
- „Du musst doch wissen, was ich mir wünsche und was ich brauche.“
Auch wenn Sie sich schon sehr lange kennen, kann Ihr Freund, Ihre Freundin, Ihr Partner oder Ihre Partner nicht Ihre Gedanken lesen. Hier hilft nur Reden. Teilen Sie Ihre Wünsche mit, drücken Sie klar aus, wenn Sie Hilfe benötigen. Das bewahrt Sie vor unnötigen Streitigkeiten. - „Du musst perfekt sein!“
Jeder Mensch macht Fehler, deshalb sollten Sie niemals Perfektion erwarten. Ganz egal ob eine Aufgabe misslingt, ins Fettnäpfchen getreten wird oder vehement eine Falschaussage vertreten wurde, Sie sollten verzeihen, auch wenn’s schwer fällt. Sie setzen ohnehin Ihren Mitmenschen stark unter Druck, wenn Sie Perfektionismus erwarten. Gestehen Sie Fehler und Anderssein zu. - „Diese Aufgabe von mir hättest du übernehmen müssen!“
Ihre Aufgaben sind Ihre Aufgaben – und niemand anders ist dafür zuständig, sie zu erledigen. Sie können natürlich nett fragen und um Hilfe bitten, aber Sie können es nicht erwarten. Die Übernahme von Jobs ist ein freiwilliger Gefallen und keine Pflicht. Auch kein Gewohnheitsrecht. Sie sollten immer auch mit ein „Nein“ gedanklich einplanen. - „Wenn wir uns treffen, solltest du schon gute Laune haben.“
Gute Freunde stehen zusammen in guten und in schlechten Zeiten. Ein Rüffel für schlechte Laune macht die Situation nicht besser. Im Gegenteil. Manchmal muss man gemeinsam durch die schlechte Laune gehen, um dann das Licht am Horizont zu sehen und wieder zu lachen. - „Du bist für mein Glück verantwortlich.“
Natürlich sollen Sie beide in Ihrer Beziehung glücklich sein. Aber niemals ist Ihr Partner für Ihr Glück verantwortlich. Jeder ist für sein eigenes Glück selbst verantwortlich. Sie können maximal feststellen “ Du sollst mich nicht unglücklich machen.“
Weitere Tipps – Wie Sie hohe Erwartungen an andere loslassen
Nun wissen Sie, welche Erwartungen Sie auf jeden Fall loslassen sollten, aber es gibt ja noch die andere Variante: Sie können hohe Erwartungen in ein realistisches Maß führen. Doch wie funktioniert das?
- Erwarten Sie weniger – auch von sich!
Wenn Sie die Erwartungen an sich selber verringern, werden Sie fast automatisch auch anderen gnädiger. Seien Sie dankbar für das, was Sie schon erreicht haben – und seien Sie dankbar für jede kleine Errungenschaft. Sie werden etwas Interessantes beobachten: Je barmherziger Sie mit sich sind, um so großzügiger werden Sie auch mit anderen. - Schauen Sie auf sich selbst.
Erwarten Sie womöglich von anderen mehr als von sich selber? Anforderungen, die Sie selbst nicht packen, sollten Sie auch nicht von anderen erwarten. Versetzen Sie sich in Ihre Situation: Entsteht ein großer Druck bei Ihnen, wenn Sie sich dieser Anforderung stellen müssten? Dann wird es Zeit etwas zu verändern. - Setzen Sie den Enttäuschungen ein Ende
Sie stellen immer wieder fest, dass Ihre Erwartungen nicht erfüllt werden. Frustration macht sich breit? Dann beenden Sie diese Situation. Es liegt in Ihrer Hand. Sie können darüber entscheiden, ob Sie enttäuscht werden oder nicht. Sie müssen nicht bitter sein. Führen Sie Ihre Erwartungen in ein realistisches Maß – und Sie werden überrascht sein, was auf einmal geschieht – im positiven Sinn, weil keiner sich mehr überfordert fühlt. - Reden Sie – jetzt!
Es existiert viel Unzufriedenheit in Partnerschaften und Freundschaften, weil vieles nicht an- und ausgesprochen wird. Machen Sie den Anfang und reden Sie offen darüber, was Ihnen wichtig ist. Die Worte dafür zu finden ist einfach:- Könntest du bitte …
- Du wärst mir eine richtige Hilfe, wenn du …
- Ich habe einen Wunsch an dich … . Was denkst du darüber?
- Ich habe eine kleinen Wunsch. Darf ich ihn dir sagen?
- Für mein Glück braucht es nicht viel. Möchtest du wissen, was fehlt?
Das Wichtigste zum Schluss:
Es geht nicht nur darum, was Sie zu sagen haben. Hören Sie genau zu! In einem Gespräch in schöner Atmosphäre, auf Augenhöhe, lassen sich die gegenseitigen Erwartungen klären und gemeinsame Vorstellungen entwickeln.
Erwartungen: Sprüche
- „Nur der, der Erwartungen hat, kann enttäuscht werden.“ (Unbekannt)
- „Es kommt oft anders als man denkt.“ (Deutsches Sprichwort)
- „Die größten Enttäuschungen haben ihren Ursprung in zu großen Erwartungen.“ (Ernst Ferstl)
- „Wenn wir unsere Erwartungen verringern, werden wir Zufriedenheit erfahren.“ (Dalai Lama)
- „Übermäßige Erwartungen bringen immer Probleme mit sich.“ (Dalai Lama)
- „Fordere viel von dir selbst und erwarte wenig von den anderen. So wird dir Ärger erspart bleiben.“ (Konfuzius)
- „Nicht alles, was man kommen sieht, kommt.“ (Klaus Klages)
- „Hast du keine Erwartungen, so hast du auch keine Enttäuschungen.“ (Katharina Eisenlöffel)
- „Je kleiner die Erwartung, umso größer die Erfüllung.“ (Erwin Koch)
- „Ich habe so viel mehr vom Leben bekommen, als ich mir je erträumt hatte – keine großen Enttäuschungen oder unerfüllte Hoffnungen: Ich habe nicht viel erwartet, und deshalb bin ich die am wenigsten verbitterte Frau, die ich kenne.“ (Audrey Hepburn)
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