Gründe für den Kontaktabbruch
Schätzungen zufolge haben etwa 100.000 Erwachsene in Deutschland keinen Kontakt zu ihren Eltern. Häufig sind Kinder bereits im Erwachsenenalter, wenn sie den Kontakt abbrechen. Manchmal sind Umbruchsituationen der Auslöser: Das Kind beginnt eine Ausbildung oder Studium, tritt ins Berufsleben ein. Auch eine neue Partnerschaft oder Familiengründung können zu veränderter Wahrnehmung der eigenen Ursprungsfamilie führen. Meistens liegen die Gründe für den Kontaktabbruch tief:
In den Eltern begründeter Kontaktabbruch
Ziemlich eindeutig liegt der Fall, wenn Kinder den Kontakt abbrechen, weil sie aus einer krankmachenden Umgebung fliehen. Das kann körperliche oder verbale Gewalt sein. Missbrauch, Prügel oder Demütigungen führen zu seelischen Verletzungen.
Auch wenn ein Elternteil Alkoholiker oder anderweitig suchtkrank ist, wirkt sich das negativ auf die Eltern-Kind-Beziehung aus. Fehlende Unterstützung in Krisenzeiten, ständige Vorwürfe, hohe Erwartungen oder Kontrollzwang können ebenso wie übermäßiges Beschützen erdrücken. Der einzige Ausweg besteht dann darin, eine möglichst große Distanz zwischen sich und Vater und Mutter zu bringen.
Im Kind begründeter Kontaktabbruch
Daneben kommt es immer wieder vor, dass Kinder ohne konkreten Anlass den Kontakt abbrechen. Manche geraten an falsche Freunde, machen Kontakt mit Drogen und geraten auf die schiefe Bahn. Aus Scham, so den eigenen Eltern unter die Augen zu treten, brechen sie den Kontakt ab.
In anderen Fällen schließen sich Kinder Sekten oder fanatischen Gruppierungen an. Sie brechen komplett mit ihrem alten Leben, weil es stellvertretend für all das steht, was sie nun ablehnen. Zum Teil fordern diese Gemeinschaften sogar den Bruch als Zeichen absoluten Gehorsams.
Tipps: Was können verlassene Eltern tun?
Die erste goldene Regel im Fall von Konflikten ist, miteinander zu reden. Genau diese Option gibt es oft nicht mehr: Hat das Kind bereits den Kontakt abgebrochen, sind oft ungeklärte Konflikte dem Abbruch vorausgegangen. Vertane Chancen für ein Gespräch, in denen man über Kränkungen und Fehlverhalten hätte aufarbeiten können. Die nachfolgenden Tipps gelten nicht pauschal – je nach Person und Situation passen sie nicht immer. Daher können wir nur grobe Hinweise geben. Folgende Optionen haben Sie:
Überdenken Sie Ihr Verhalten
An erster Stelle sollte die Selbstreflexion stehen: Was haben Sie zu dieser Situation beigetragen? An welcher Stelle hätten Sie anders handeln sollen? Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, sich bei Ihrem Kind zu entschuldigen. Indem Sie eigene Fehler eingestehen, übernehmen Sie Verantwortung für Ihr Verhalten. Außerdem signalisieren Sie Ihrem Kind, dass Sie es ernst nehmen.
Melden Sie sich
Versuchen Sie Ihrerseits Kontakt zu halten. Ihr Kind hat eine einseitige Entscheidung getroffen, Sie können für sich anders entscheiden. Schreiben Sie Briefe, gratulieren Sie zum Geburtstag oder schicken Sie zu Weihnachten eine Karte. Sie können auch anrufen und ein Treffen auf neutralem Boden vorschlagen, beispielsweise in einem Café. Blockt Ihr Kind ab, kann Tagebuch schreiben beim Verarbeiten helfen.
Verarbeiten Sie die Trennung
Bricht ein Kind den Kontakt ab, fühlt es sich für viele wie ein Trauerfall an. Ähnliches empfinden Menschen, wenn ihr Partner sie verlassen hat oder eine alte Freundschaft auseinanderbricht. Ganz ähnlich können Sie damit umgehen und die Trennung überwinden. Dabei werden Sie in verschiedenen Phasen einen Prozess durchlaufen. Wichtige Faktoren sind hier Akzeptanz der Situation und Selbstfürsorge: Manche Eltern leiden ein Leben lang unter der Ungewissheit und Trennung. Aber ein Leben kann auch ohne Kind lebenswert sein.
Suchen Sie sich Unterstützung
Bleiben die Bemühungen erfolglos, sollten Sie sich Hilfe suchen. Die Seelsorge bietet in Zeiten psychischer Notsituationen Unterstützung und Orientierung. Da es sich hierbei oft um Geistliche handelt, kann diese Einrichtung besonders für Gläubige ein erster Anker sein. Grundsätzlich arbeitet die Seelsorge aber konfessionsübergreifend. Alternativ können Sie einen Psychotherapeuten aufsuchen. Dort erhalten Hilfe beim Verarbeiten des Kontaktabbruchs.
Selbsthilfegruppen für verlassene Eltern
Einigen Menschen hilft der Austausch mit anderen Betroffenen. Es gibt einige Selbsthilfegruppen, an die sich verlassene Eltern wenden können. Sie sind zum Teil noch im Aufbau und suchen Mitstreiter. So beispielsweise die KISS Mainz / Der Paritätische Rheinland-Pfalz/Saarland (selbsthilfe-rlp.de/kiss-mainz), die sich an verlassene Eltern und Großeltern richtet. Weitere Selbsthilfegruppen gibt es auch in Merseburg im Saalekreis und in Berlin (verlassene-eltern.com).
Kontakt abbrechen: Wie es sich für Eltern anfühlt
Die alles dominierende Frage ist die nach dem Warum: Oft verlassen Kinder ihre Eltern ohne eine Begründung. Was folgt, sind quälende Tage, Monate, Jahre, in denen sich die Eltern das Hirn zermartern. Nicht immer mit Erfolg. Manche haben die Hoffnung nicht aufgegeben, dass das Kind zurückkehrt. Wie es sich für Eltern anfühlt, wenn ihre Kinder den Kontakt abbrechen, kann im Einzelfall völlig unterschiedlich sein. Typische Emotionen sind jedoch diese:
- Ohnmacht
Zu wissen, dass das eigene Kind noch lebt, aber den Kontakt meidet ist für viele schwer zu ertragen. Wäre es tot, hätten die Eltern mit dem Friedhof eine exakte Anlaufstelle. So lasten Ohnmacht und Ungewissheit auf ihnen, wie sie dem Kind helfen können. - Scham
Viele empfinden große Scham, denn irgendwann finden Nachbarn, Freunde und Verwandte heraus, dass das Kind den Kontakt abgebrochen hat. Das gesellschaftliche Stigma ist enorm. - Trauer
Das Wissen darum, dass das eigene Kind bewusst diese Entscheidung getroffen hat, wiegt schwer. Manche empfinden die Trauer und den Schmerz sogar körperlich. - Vorwürfe
Einige Eltern machen sich große Vorwürfe, versagt zu haben. Sie glauben, dass sie bestimmte Anzeichen hätten früher erkennen müssen. Oder dass sie diesen Schritt hätten verhindern können. - Ausgrenzung
Oft haben andere Familienangehörige oder Freunde noch Kontakt zu den Kindern. Bei den Eltern ruft das Gefühle von Ausgrenzung und Einsamkeit hervor.
Kontaktabbruch nicht endgültig
Sowohl mit Blick auf die Zahl der Kontaktabbrüche als auch hinsichtlich der erneuten Annäherungen gibt es keine konkreten Zahlen. Aber nicht immer ist der Kontaktabbruch endgültig. Studien kommen zu dem Ergebnis, dass er häufig nur übergangsweise existiert. Allerdings ist auch die Dauer sehr unterschiedlich. Ob sich die Eltern-Kind-Beziehung wieder kitten lässt, hängt häufig davon ab, wie ein späterer Annäherungsversuch abläuft: Haben die Eltern in der Zwischenzeit ihr Verhalten überdacht? Sind sie bereit, Fehlverhalten einzugestehen?
Bleibt alles beim Alten, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Kind erneut den Kontakt abbricht. Andererseits kommt es auch immer wieder vor, dass das Kind Veränderungen durchmacht. Sich weiterentwickelt und geistig reift. Beispielsweise wenn ein von Elternseite unerwünschter Partner Auslöser für den Kontaktabbruch war: Nach einigen Jahren kommt es zur Trennung, das Kind versteht nun die Ablehnung der Eltern. Auch wenn das Kind selbst Kinder bekommt und Herausforderungen der Erziehung erlebt, können sich Ansichten ändern. Plötzlich wächst das Verständnis für die eigenen Eltern, einstmals harsche Urteile fallen gnädiger aus.
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